Wenn ich mich mal allzu sehr über unverschämt niedrige Preisvorstellungen gewisser Agenturen ärgere oder über die „Kollegen“, die solche Jobs dann auch noch annehmen (obwohl ich dem ja meist durch mein Mantra „anderer Markt, ganz anderer Markt“ zu begegnen versuche), dann denke ich manchmal an eine Geschichte, die mir vor vielen Jahren passiert ist.
Ich hatte mich auf proz.com auf ein Projekt beworben (für die jüngeren Leser: Das war in den goldenen Zeiten, als man dort tatsächlich noch gelegentlich eine Chance hatte, ein schönes Projekt über die ganz normale Ausschreibung zu ergattern – wirklich, das gab‘s!), die Übersetzung eines Playstation-Spiels. Meine Probeübersetzung überzeugte, ich bekam den Job für 7 Cent pro Wort. Nicht gerade üppig, aber für Computerspiele durchaus noch im Rahmen. Ich arbeitete parallel mit einem tollen französischen Kollegen an der Übersetzung, unsere Fragen an den Projektmanager ergänzten sich prima, wir waren ein gutes Team. Es kam noch ein Folgeauftrag, bei dem ich vergeblich versuchte, einen besseren Wortpreis auszuhandeln. Tja, schlecht gepokert am Anfang, dachte ich mir, trotzdem waren das schöne Aufträge, die mir einen Riesenspaß machten.
Eines Tages machte mich der französische Kollegen per Mail darauf aufmerksam, dass der Auftraggeber das neueste Projekt wieder über proz ausgeschrieben hatte und diesmal offenbar nicht mehr als 6 Cent zahlen wollte. Wir waren empört, schließlich hatten wir gute Arbeit geleistet, die waren doch schön blöd, uns nicht wieder zu fragen! Pah, die würden schon sehen, was sie davon hätten, trösteten wir uns gegenseitig.
Man kann sich vielleicht vorstellen, wie breit ich grinste, als ich einige Monate später wieder eine Anfrage von besagtem Auftraggeber bekam über ein Riesenprojekt von 50.000 Wörtern – und man mir 10 Cent pro Wort anbot. Hehe. Die hatten es dann wohl auf die harte Tour gelernt.
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