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Outsourcing

29 Mai

Neulich bekam ich eine Werbemail von einer lettischen Übersetzungsagentur. (Andere Übersetzer und auch Agenturen bewerben sich oft bei mir, gern auch mit exotischen Sprachenkombinationen wie Arabisch-Englisch. Vielleicht sollte ich den Hinweis „Alle Sprachen, alle Fachgebiete“ mal von meiner Homepage nehmen.) Diese Mail war sogar angenehm professionell gehalten, man hatte mir außerdem eine Preisliste und ein Dokument mit drei Fallstudien über von dieser Agentur bearbeitete Projekte angehängt.

Bei den Preisen keine große Überraschung, mit 0,08 € (osteuropäische Sprachen) bis 0,12 € (skandinavische Sprachen) für lettische Verhältnisse wahrscheinlich sogar eher gut. Wirklich umgehauen hat mich bei allen drei vorgestellten Projekten jeweils der Kunde: 1. „mittelständischer Sprachdienstleister in Italien“, 2. „eine der größten Übersetzungsagenturen in Europa“, 3. „renommierte Übersetzungsagentur aus den Niederlanden“.

Bearbeitet wurden die Sprachkombinationen IT>CZ/PL, EN>EE und EN<>DE, nicht in einem Fall hatte also Lettisch etwas mit der Wahl dieses Dienstleisters zu tun. Vielleicht bin ich ja total naiv, aber ist es wirklich ganz normal, dass eine Übersetzungsagentur einen großen, vermutlich lukrativen Auftrag an Land zieht und statt sich selbst die Mühe zu machen, geeignete Übersetzer zu finden und einen entsprechenden Workflow zu entwickeln und umzusetzen (Datenaufbereitung, Terminologiemanagement, Proofreading, Formatierung), das komplette Projekt an eine weitere Übersetzungsagentur ausgliedert und die einfach die ganze Arbeit machen lässt? Wenn es da um Sprachen ginge, für die sie nur selbst keine Stammübersetzer haben – na gut, aber Englisch/Deutsch? Wenn das nicht Umtüten ist, dann weiß ich auch nicht.

Ein interessanter Einblick in den europäischen Übersetzungsmarkt. Wie viel für den Übersetzer übrigbleibt, wenn noch zwei Agenturen an dem Projekt verdienen möchten, kann man sich vorstellen. Interessieren würde mich auch, wo sie zu diesen Preisen die vielen (wegen enger Deadlines) hochqualifizierten (wegen der anspruchsvollen Terminologie) Übersetzer herbekommen. Ich kenne jedenfalls keine KollegInnen, die zu diesen Bedingungen z. B. medizinische Texte übersetzen würden.

(292 Wörter)

 

5 Antworten zu “Outsourcing

  1. GB Translation

    29. Mai 2012 at 11:47

    Naja, ich arbeite auch viel mit Kunden aus der tschechischen Republik und Polen, unter anderem. Das sind die interessanten neuen Märkte. Auch dabei ist oft gar kein Polnisch oder Tschechisch am Übersetzungsprozess beteiligt, einfach weil diese Firmen oft von vornherein ihre Dokument auf Englisch verfassen. Es handelt sich um recht typisches „Outsourcing“ im heutigen Übersetzeralltag. Was aus dem Artikel nicht so klar hervorgeht ist, was du mit „zu diesen Bedingungen“ meinst. Es geht ja aus dem, was du geschrieben hast, nicht hervor, dass die Arbeitsbedingungen unbedingt schlecht wären, oder?

     
    • frenja

      29. Mai 2012 at 12:54

      Nein, insgesamt las sich der Arbeitsablauf etc. ganz ordentlich (bis auf ein Projekt, das nur mit Wochenend- und Nachtschichten zu schaffen war, aber das können die Übersetzer dann ja selbst entscheiden, ob sie sich darauf einlassen wollen oder nicht), mir geht es hier eher mal wieder um den Preis. Wenn diese Agentur für EN-DE selbst nur 10 Cent verlangt, was bekommen dann wohl die Übersetzer? Und für solche Preise kenne ich persönlich keine kompetente Kollegin, die z. B. eine medizinische Übersetzung EN-DE anfertigen würde (eins der beschriebenen Projekte war was Medizinisches, deshalb komme ich drauf).

      Meinst du mit „Kunden“ Endkunden oder vergibst du auch Projekte weiter nach Tschechien oder Polen?

       
  2. Kevin Lossner (@GermanENTrans)

    29. Mai 2012 at 12:40

    Ich habe öfter Gespräche zu genau diesem Thema mit Kollegen in RO, HU, CZ und sonstwo geführt. Sie wollen mich überzeugen, dass sie wegen ihrer Kompetenz in Projektmanagement gewählt werden, und bei manchen habe ich an diesem Kompetenz auch nicht zu zweifeln… bis das Gespräch zu Honoraren führt. Entweder haben Sie gar keinen Konzept, was gute Übersetzer in den deutschsprachigen Ländern wirklich kosten, oder sie wissen das und können sich solche Honorare nicht leisten. Der nichtmuttersprachliche Kunde ist meistens zufrieden bis er von seinen Kunden ausgelacht wird. Versuche, diese Leute zu überzeugen, dass ihre Angebote für gewisse Sprachkombinationen nach den üblichen Honoraren in den Ländern gestaltet werden sollten, wo sich die guten Übersetzer befinden, sind natürlich erfolglos. Die Aussage lauter beinahe immer: „Aber das könnte kein Kunde zahlen!“ Und so bleiben die immer im Dumping-Segment und liefern öfter Ergebnisse, die einfach zu toxisch sind, um auf den Feldern als Dünger eingesetzt zu werden.

     
    • frenja

      29. Mai 2012 at 13:01

      Wahrscheinlich findet man sogar gute Übersetzer auch zu solchen Preisen, auch z. B. für EN-DE, wenn man nur lange genug sucht. Das kann ich mir allerdings für diese Fallstudien nicht vorstellen, denn da ging es – natürlich – immer um großes Volumen in extrem kurzer Zeit, also wurden die Projekte auf mehrere Übersetzer aufgeteilt. Und um so viele kompetente Leute zu finden, die (aus welchen Gründen auch immer) zu solchen Preisen arbeiten, da muss man schon einen ganz großen Haufen durchsieben, was ja wiederum Zeit kostet. Kann mir nicht vorstellen, dass das ein tragfähiges Konzept ist.

      Aufgeregt hat mich v. a. die Tatsache, dass die Auftraggeber ausschließlich andere Agenturen waren, die auf ihrer Website wahrscheinlich vollmundige Versprechungen machen von wegen „nur muttersprachliche Übersetzer“, „alle total qualifiziert“ und im Endeffekt das ganze Paket einfach weitergeben und nicht mal die Möglichkeit haben zu kontrollieren, wer da tatsächlich dransitzt. Mit welchem Recht streichen die nun auch noch ihre Marge ein?

       
  3. Katja

    19. September 2012 at 13:42

    Die Mühe, den Hinweis „Alle Sprachen, alle Fachgebiete“ von deiner Website zu entfernen, kannst du dir übrigens sparen. Ich habe keinen derartigen Hinweis, bekomme solche Mails aber auch regelmäßig.

     

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