Vorbemerkung: Mit diesem Beitrag erwecke ich nicht nur mein eingestaubtes Blog endlich wieder aus seinem Dornröschenschlaf, sondern breche ausnahmsweise auch mit meiner 300-Wörter-Regel. In diesem Fall war es mir wichtig, nicht nur Schlaglichter zu setzen oder einzelne Aspekte kurz aufzugreifen, sondern meinen Gedanken in aller gebotener Ausführlichkeit Raum zu geben. Wer die Regeln macht, der darf sie nämlich auch brechen! Ha!
Nun ist der FIT-Weltkongress schon ein paar Tage vorbei, das Schlafdefizit ist aufgeholt, die Stimme wieder einsatzfähig, das leergeredete Wortkontingent halbwegs wieder aufgefüllt – so viel wie in diesen 3 Tagen spricht die gemeine Übersetzerin schließlich sonst in einem ganzen Monat nicht! Und immer wieder höre ich die berechtigte Frage: „Wie war’s denn?“
Tja, wie war’s denn? Insgesamt war’s schön, wie nach den Erfahrungen mit den beiden BDÜ-Kongressen auch zu erwarten gewesen war. Die Organisation war einwandfrei, die „helfenden Hände“ hinter den Kulissen, wie sie so passend betitelt wurden, leisteten fantastische Arbeit, gerade auch die freundlichen jungen Damen, die z. B. für die Saaltechnik zuständig waren – alles klappte ganz wunderbar und falls es Problemchen gab, wurden sie schnell und kompetent gelöst.
© Anja Weiligmann
Das Catering – nun ja. Nein, dazu kann ich leider keine Lobeshymnen anstimmen, das war schlicht gesagt ziemlich peinlich. Zu wenig, zu simpel (das gastronomische Niveau erinnerte doch eher an Straßenfest als an Fachkongress) und Servicekräfte, die hilflos mit den Schultern zuckten, wenn sie auf Englisch angesprochen wurden. Beim Sommerfest war vor dem offiziellen Ende das Bier alle. Das darf einfach nicht passieren, das geht mit Sicherheit besser. Mir war es jedenfalls unangenehm, mit welchen Eindrücken von der deutschen Gastronomie die Gäste aus aller Welt wieder nach Hause gefahren sein mussten.
Und der Kongress selbst? Auch da bleiben mir durchaus gemischte Eindrücke. Vielleicht liegt es daran, dass ich inzwischen auf einigen Übersetzerkongressen war, vielleicht auch an meiner eigenen Programmauswahl, aber so richtig viel Neues konnte ich irgendwie nicht mitnehmen. Na klar, Chris Durbans Beiträge (und das waren so einige) waren wie immer sehens- und hörenswert und ihre Botschaft („Down with the poverty cult“ – „Einigkeit macht stark“ – „Tretet selbstbewusst und professionell auf, ihr habt allen Grund dazu“) kann man auch wirklich nicht oft genug hören. Das ist mir persönlich immer wieder ein Fest und eine wirkliche Motivation. Natürlich habe ich auch aus anderen Vorträgen mindestens ein oder zwei neue Aspekte mitnehmen können, beispielsweise fand ich Iva Mäders Vortrag zum Thema „Erfolgreich sein mit kleinen Sprachen“ wirklich sehr interessant und stieß dort auch auf Ideen, die mir selbst schon mal gekommen waren (was immer nett für das eigene Ego ist – nach dem Motto „Ganz falsch kann ich also nicht liegen!“).
Aber. Ich muss gestehen, schon als ich das Motto der Konferenz las, verdrehte ich seufzend die Augen. Schon wieder Maschinenübersetzung. Das Thema beschäftigt die Branche ja nun schon seit dem Aufkommen von Google Translator wieder verstärkt und wird in Blogartikeln, Forenbeiträgen und nicht zuletzt auf Kongressen mit mehr oder minder (meistens eher minder aus Sicht der erfahreneren Kolleginnen und Kollegen) hysterischem Unterton wieder und wieder abgehandelt. Auch auf der TriKonf im letzten Herbst war das Thema schon Schwerpunkt. Mit meinem Arbeitsalltag hat das Thema Maschinenübersetzung nicht viel zu tun und deshalb konnten sämtliche Vorträge und Diskussionsrunden dazu mich auch nicht wirklich locken. Andererseits habe ich gehört, dass gerade ein Präsentationsblock zur Maschinenübersetzung rundum überraschend spannend und interessant war, vielleicht hätte ich also meinen inneren Widerstand überwinden und mir wenigstens ein Segment dazu doch ansehen sollen.
Auch mein Gesamteindruck, dass ich leider nicht viel Neues zu hören bekam, lässt sich, wie schon gesagt, möglicherweise zum Teil auf meine persönliche Programmauswahl zurückführen. Ich hatte überwiegend Themen gewählt, die mich ohnehin interessieren, wie Marketing, Medizin und Social Media, teilweise hatte ich auch die Vortragenden schon mal gehört – vermutlich kann man da einfach keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse erwarten. Bei der nächsten Konferenz werde ich sicherlich mutiger sein und die gewohnten Pfade auch mal verlassen.
Was mich aber wirklich gestört hat, war die insgesamt doch sehr eurozentristische Ausrichtung des ganzen Programms. Auf einem dediziert internationalen Kongress hätte ich es erwartet und interessant gefunden, mehr von der Situation der Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern zu hören. Sicher, vereinzelt gab es solche Vorträge, aber insgesamt war es viel zu wenig. Das hatte übrigens nur bedingt mit der Programmauswahl durch die Teilnehmenden zu tun, schon bei den Einreichungen fehlte mir dieses Themenfeld. Die Resolution zur Situation der Kolleginnen und Kollegen in Krisengebieten, die in der Abschlussveranstaltung mit minutenlangem Applaus einstimmig vom Kongress angenommen wurde, war gut und richtig, aber reicht meiner Meinung nach einfach nicht aus. Vorträge zu diesem Thema, Erfahrungsberichte? Fehlanzeige. (Bis auf einen, wenn ich mich recht erinnere.) Dabei ist das Thema doch so brandaktuell und auch so wichtig, dass man das ebenso gut zum Leitthema der Konferenz hätte machen können!
Schade auch, dass überhaupt so wenige Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel aus Afrika anwesend waren – ein gewaltiger Kontinent mit knapp 2.000 Sprachen, da wird doch wohl jemand was zum Thema Übersetzen und Dolmetschen zu sagen haben?! Natürlich ist es für viele Mitglieder der vier afrikanischen FIT-Verbände sicher schwierig, die Kongressgebühr und die Reisekosten aufzubringen, aber da hätte man sich doch im Sinne der Kollegialität ein Umlagemodell ausdenken können, um wenigstens einige Vertreter einzuladen.
Was das Ganze aber dann doch trotz der persönlich wahrgenommenen Programmschwächen zu einem vollen Erfolg machte, waren die vielen Kolleginnen und Kollegen von überallher, die ich wiedertraf, kennenlernte oder nach langer virtueller Bekanntschaft erstmals in Fleisch und Blut traf. Auch hier war den Organisatoren etwas Pfiffiges eingefallen: Überall standen gut sichtbare Werbesegel (auf Neudeutsch „Beachflags“, wie ich lernte), die als Treffpunkte für verschiedene treffwillige Grüppchen wie Twitterer, Medizin-Übersetzer etc. dienten. Netzwerken leicht gemacht! Aus diesen Gesprächen habe ich den meisten Nutzen gezogen, mal abgesehen davon, dass es einfach riesigen Spaß machte.
Meinen idiomatischen Hut* ziehe ich zum Schluss vor den Kolleginnen und Kollegen, die unentgeltlich unzählige Veranstaltungen zwischen den drei Kongresssprachen Englisch, Französisch und Deutsch verdolmetschten. Dass Dolmetschen eine höchst anspruchsvolle Tätigkeit ist, wissen wir alle, aber dann auch noch für das kritischste Fachpublikum, das man sich überhaupt vorstellen kann, nämlich für die eigene Zunft – das kann mit Sicherheit nicht jeder. Vielen Dank dafür!
Hat es sich für mich also gelohnt, zum FIT-Kongress zu gehen? Ja, hat es. Nicht zuletzt übrigens deswegen, weil ich dort selbst einen kleinen Workshop (eher einen kurzen Vortrag mit längerer Fragerunde) zum Thema „Marketing für Literaturübersetzer“ gehalten habe, auf den ich noch am nächsten Tag von wildfremden Menschen freundlich bis rundheraus begeistert angesprochen wurde. Unbezahlbar! Und beim nächsten Kongress (der mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lässt, denn Kongressbesuche machen süchtig) werde ich darauf achten, nicht nur bei meinen Kernthemen zu bleiben, sondern aktiv auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen. Ich freue mich jetzt schon drauf!
*Diese Wendung habe ich bei Kerstin Funke abgekupfert, die sich nach der FIT-Geburtstagsparty am Dienstagabend „auf die idiomatischen Socken“ machte und der ich an dieser Stelle ganz herzlich für diese grandiose Erweiterung meines aktiven Wortschatzes danken möchte. ❤